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5 Strategien, um Konflikte zu lösen

Es gibt exakt fünf Konfliktlösungsstrategien. Nicht mehr und nicht weniger.
Ein Modell nach Gerhard Schwarz

Gerhard Schwarz ist einer der bekanntesten Konfliktforscher und -berater im deutschsprachigen Raum. In seinem Buch Konfliktmanagement beschreibt er nicht nur die theoretischen Grundlagen von Konflikten, sondern auch verschiedene Strategien, wie solche Konflikte in Praxissituationen gelöst oder zumindest reguliert werden können. Dieses Essay legt den Fokus ausschließlich auf die von Schwarz dargestellten Konfliktlösungsstrategien und erläutert sie in ihrer Funktionsweise, ihren Vor- und Nachteilen sowie ihren jeweiligen Anwendungsbereichen.


1. Flucht oder Vermeidung

Eine der häufigsten, aber auch am wenigsten konstruktiven Strategien zur Konfliktbewältigung ist die Flucht oder Vermeidung des Konflikts. Hierbei ziehen sich Konfliktparteien bewusst oder unbewusst aus der Auseinandersetzung zurück, indem sie beispielsweise das Thema wechseln, die Diskussion unterbinden oder ganz vermeiden, direkt miteinander zu sprechen.

1.1 Funktionsweise

  • Rückzug: Beide (oder eine) Konfliktparteien nehmen Abstand davon, den Streitpunkt anzusprechen.
  • Vermeidung: Potenziell unangenehme Situationen werden gemieden; es kommt zu keiner direkten Konfrontation.

1.2 Vorteile

  • Zeitgewinn: Konfliktparteien bekommen eine Atempause und können ihre Emotionen abkühlen.
  • Stressreduktion: Kurzfristig sinkt der Druck, da eine offene Eskalation vermieden wird.

1.3 Nachteile

  • Ungeklärte Konflikte: Das Kernproblem bleibt bestehen und kann sich sogar verschärfen.
  • Folgekonflikte: Aufgestauter Ärger kann später in einer größeren Auseinandersetzung explodieren.
  • Beziehungsverlust: Langfristig leidet das Vertrauen der Beteiligten, weil das Problem nicht geklärt wird.

1.4 Anwendungsbereich

  • Diese Strategie kann in seltenen Fällen sinnvoll sein, wenn man Zeit benötigt, um die eigene Position zu klären oder starke Emotionen zu beruhigen. Als alleinige Lösung taugt sie jedoch kaum, weil die eigentlichen Konfliktursachen nicht angegangen werden.

2. Machteinsatz oder Unterdrückung

Eine weitere Konfliktlösungsstrategie, die Gerhard Schwarz thematisiert, ist der Einsatz von Macht beziehungsweise die Unterdrückung des Konflikts. Dabei wird eine Konfliktpartei gezwungen, den eigenen Standpunkt zurückzustellen oder aufzugeben.

2.1 Funktionsweise

  • Hierarchische Autorität: Ein Vorgesetzter oder jemand in Machtposition nutzt seine Befugnisse, um eine Entscheidung unilateral zu treffen.
  • Physischer oder psychischer Druck: Selten mündet dies in direkte Einschüchterung, häufiger jedoch in subtile Formen, bei denen Sanktionen oder Konsequenzen angedeutet werden.

2.2 Vorteile

  • Schnelle Entscheidung: Der Konflikt kann, zumindest oberflächlich, in kurzer Zeit „gelöst“ werden.
  • Klare Zuständigkeiten: Bei stark hierarchischen Organisationen ist jedem klar, wer „das Sagen“ hat.

2.3 Nachteile

  • Fehlende Akzeptanz: Die unterlegene Partei fühlt sich häufig ungerecht behandelt und trägt Groll mit sich.
  • Widerstand im Verborgenen: Vermeintlich gelöste Konflikte brechen später wieder auf oder äußern sich in passiver Sabotage.
  • Gefahr der Eskalation: Machteinsatz kann Gegenmacht provozieren oder zumindest eine schlechte Arbeits- und Beziehungskultur befördern.

2.4 Anwendungsbereich

  • In Krisensituationen, die sofortiges Handeln erfordern (z. B. Sicherheitsbedrohungen), kann Machteinsatz kurzfristig notwendig sein. In allen anderen Fällen sollte Macht jedoch nur sehr dosiert eingesetzt werden, da der langfristige Schaden für Beziehungen und Vertrauen immens sein kann.

3. Delegation an eine höhere Instanz

Wenn Konfliktparteien selbst nicht mehr in der Lage oder willens sind, eine Einigung zu erzielen, besteht die Möglichkeit, den Konflikt an eine höhere Instanz zu delegieren. Das kann ein Schiedsrichter, ein Mediator, eine unabhängige Beratungsperson oder auch eine übergeordnete Leitung sein.

3.1 Funktionsweise

  • Abgabe des Konflikts: Beide Seiten stimmen darin überein (oder werden angewiesen), einen Dritten entscheiden zu lassen.
  • Externe Entscheidung: Der oder die Dritte analysiert den Konflikt, hört beide Seiten an und fällt eine Entscheidung oder spricht eine Empfehlung aus.

3.2 Vorteile

  • Sachliche Distanz: Eine neutrale Instanz kann sich objektiver in die Lage begeben und parteilichkeitsfreie Vorschläge entwickeln.
  • Konfliktentlastung: Die Beteiligten geben Verantwortung an eine Autorität ab, was Spannung aus dem Konflikt nehmen kann.

3.3 Nachteile

  • Mangelnde Identifikation: Die Konfliktparteien akzeptieren die Entscheidung oft nur widerwillig, weil sie „von außen“ aufoktroyiert wurde.
  • Verantwortungsverschiebung: Die Konfliktparteien lernen nicht, selbstständig konstruktiv miteinander umzugehen.
  • Abhängigkeit: Auf lange Sicht kann sich eine dauerhafte Abhängigkeit von Vermittlern oder Hierarchien entwickeln.

3.4 Anwendungsbereich

  • Wenn Verhandlungen festgefahren sind und die Beteiligten kaum noch miteinander reden können, kann ein neutraler Dritter (z. B. Mediator) hilfreich sein, um den Knoten zu lösen. Allerdings sollte die Delegation nicht zum Standard werden, da die eigenverantwortliche Konfliktlösung langfristig stärker beziehungsfördernd wirkt.

4. Kompromiss

Der Kompromiss ist in vielen Konfliktsituationen der wohl am häufigsten angewendete Lösungsweg. Dabei gehen beide Seiten aufeinander zu, indem sie jeweils auf bestimmte Forderungen verzichten und so einen „Mittelweg“ finden.

4.1 Funktionsweise

  • Geben und Nehmen: Beide Parteien reduzieren ihre Forderungen und treffen sich quasi in der Mitte.
  • Balanceakt: Es wird versucht, die Verluste beider Seiten so gering wie möglich zu halten, sodass man doch noch eine Lösung findet, mit der alle leben können.

4.2 Vorteile

  • Pragmatische Lösung: Ein Kompromiss spart Zeit und Energie und führt zu einer relativ schnellen Einigung.
  • Beziehungswahrung: Keine Partei fühlt sich völlig unterlegen. Grundsätzlich bleiben die Beziehungen intakt.

4.3 Nachteile

  • Lose-Lose-Effekt: Im Gegensatz zum Konsens gewinnen beide Seiten nur teilweise – ein Teil des Anliegens bleibt unerfüllt.
  • Unvollständige Zufriedenheit: Oft bleibt das Gefühl, zwar eine „okay“ Lösung zu haben, aber keine wirklich gute.
  • Langfristige Wirkung?: Kompromisse können temporär zufriedenstellen; langfristig bleiben jedoch häufig offene Rechnungen zurück, die später erneut Konflikte auslösen können.

4.4 Anwendungsbereich

  • Kompromisse eignen sich, wenn ein Konflikt verhältnismäßig schnell und ohne großen Aufwand beigelegt werden muss. Gerade in alltäglichen Verhandlungen (z. B. Ressourcenverteilung, Projektprioritäten) kann der Kompromiss eine pragmatische Option sein. Ideal für Situationen, in denen die verschiedenen Forderungen nicht allzu weit auseinanderliegen oder es nur um Kleinigkeiten geht.

5. Konsens

Der Konsens stellt für Schwarz die höchste und zugleich anspruchsvollste Form der Konfliktlösung dar. Hier werden die tieferliegenden Interessen und Bedürfnisse aller Beteiligten so berücksichtigt, dass am Ende eine echte Win-Win-Situation entsteht.

5.1 Funktionsweise

  • Tiefe Klärung: Die Konfliktparteien erforschen die dahinterliegenden Motive, Werte und Bedürfnisse, anstatt sich auf starren Positionen zu verharren.
  • Gemeinsame Lösungsfindung: Alle Vorschläge werden gesammelt und so lange weiterentwickelt, bis sie für alle tragbar sind.

5.2 Vorteile

  • Hohe Akzeptanz: Weil die Lösung im gemeinsamen Prozess erarbeitet wurde, stehen alle Parteien dahinter.
  • Nachhaltigkeit: Ein Konsens, der die Grundbedürfnisse aller einbezieht, führt zu größerer Zufriedenheit und verringert die Wahrscheinlichkeit weiterer Konflikte.
  • Beziehungsstärkung: Das gemeinsame Ringen um eine Lösung schweißt häufig zusammen, weil man lernt, Perspektiven zu verstehen und wertzuschätzen.

5.3 Nachteile

  • Großer Zeit- und Energieaufwand: Konsensprozesse können langwierig sein, besonders wenn viele Stakeholder involviert sind.
  • Hohe Kommunikationskompetenz nötig: Die Beteiligten müssen bereit sein, sich aufeinander einzulassen und kooperativ zu handeln. Ohne Moderation oder Mediations-Know-how sind Konsensprozesse oft schwierig.
  • Risiko fehlender Ernsthaftigkeit: Wenn nur eine Partei nicht wirklich kompromiss- bzw. konsensbereit ist, kann der Prozess scheitern oder zum reinen Feigenblatt werden.

5.4 Anwendungsbereich

  • Konsens eignet sich insbesondere für grundlegende oder werteorientierte Konflikte, bei denen nachhaltige Lösungen gewünscht sind, und wenn die Beziehungen zwischen den Parteien langfristig wichtig sind. Typisch sind strategische oder konzeptionelle Fragen in Organisationen oder in gesellschaftlichen Verhandlungen, wo man sich eben nicht mit halben Lösungen zufriedengeben will.

6. Überlegungen zur Wahl der passenden Strategie

Gerhard Schwarz macht in seinen Ausführungen deutlich, dass es keine „One-Size-Fits-All“-Strategie gibt. Vielmehr hängt die Wahl der geeigneten Konfliktlösungsstrategie von einer Reihe von Faktoren ab:

  1. Dringlichkeit: Wie zeitkritisch ist der Konflikt?
  2. Beziehungsaspekt: Wie wichtig ist es, dass die Beziehung zwischen den Parteien langfristig intakt bleibt?
  3. Verantwortlichkeiten und Machtstrukturen: Gibt es hierarchische Unterschiede, die beachtet werden müssen?
  4. Kultur und Werte: Ist die Organisation oder das Umfeld eher auf Kooperation oder auf Wettbewerb ausgerichtet?
  5. Komplexität: Handelt es sich um einen einfachen Sachkonflikt oder um weitreichende Interessens- oder Wertkonflikte?

Die Bandbreite dieser Strategien reicht von sehr kurzfristigen, eher eindimensionalen Ansätzen (Flucht, Machteinsatz) bis hin zu hochkomplexen, kooperativen Lösungsformen (Konsens). Jede Strategie hat ihre Berechtigung – jedoch nur, wenn sie bewusst und reflektiert ausgewählt wird.


7. Fazit

Die von Gerhard Schwarz dargestellten Konfliktlösungsstrategien bilden ein Spektrum, das von oberflächlichen bis hin zu tiefgreifenden und partizipativen Lösungen reicht. Flucht und Machteinsatz sind vor allem kurzfristige, teilweise sogar reaktive Maßnahmen, die zwar einen Konflikt „einfrieren“ oder „erzwingen“ können, aber langfristig selten tragfähige Ergebnisse liefern. Die Delegation an eine höhere Instanz bietet zwar professionelle Distanz, birgt jedoch das Risiko, dass die Konfliktparteien die Verantwortung abgeben und letztlich nicht lernen, Konflikte eigenständig zu lösen.

Kompromisse können in vielen Situationen ein funktionierender und pragmatischer Weg sein, um einen Konflikt zu befrieden – insbesondere, wenn den Parteien nur ein bestimmter Zeitrahmen zur Verfügung steht oder wenn keine tiefgreifenden Werte berührt werden. Konsens hingegen ist das Ideal einer Konfliktlösung, das sehr viel Kommunikation, Zeit und Bereitschaft aller Seiten erfordert, aber auch eine intensive Win-Win-Lösung erzeugen kann. Für langfristig stabile Beziehungen und eine nachhaltige Organisationsentwicklung ist der Konsens die lohnendste, wenngleich aufwendigste Lösung.

Somit zeigt sich, dass die Wahl der Konfliktlösungsstrategie stets im Kontext der Beziehungsdynamik, der Zielsetzungen und der organisatorischen oder gesellschaftlichen Rahmenbedingungen getroffen werden sollte. Genau dies empfiehlt Gerhard Schwarz: Konflikte bewusst wahrnehmen, analysieren und dann auf den passenden Lösungsansatz zurückgreifen – im Bewusstsein, dass jede Strategie ihre Stärken und Grenzen hat.

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