Zum Inhalt

Wie Identitätstheorien der Führungsklarheit helfen

Identitätstheorien: Die Grundlage von Rollen und Selbstbild im Kontext der Führung

Eine wesentliche Säule meiner Masterthesis (2017) zum Thema „Die Führungskraft als Coach“ widmet sich der Frage, wie Menschen ihre Identität entwickeln und wie dies in Bezug auf Führungsrollen und Coaching relevant ist.

Identität wird als ein dynamisches Konstrukt verstanden, das ständig im Wechselspiel zwischen sozialen Erwartungen, individuellen Erfahrungen und persönlicher Reflexion geformt wird.

In diesem Beitrag greife ich nochmals zentrale Ansätze der Identitätstheorie auf und beleuchtet ihre Bedeutung für die Führungspraxis.

George Herbert Mead: Identität durch Interaktion

George Herbert Mead, einer der bedeutendsten Vertreter der symbolischen Interaktionstheorie, versteht Identität als ein Produkt sozialer Interaktion. Das zentrale Konzept seiner Theorie ist die Entwicklung des Selbst durch den Prozess des „Role-Taking“. Menschen bauen ihr Selbstbild auf, indem sie sich in andere hineinversetzen, deren Perspektiven übernehmen und daraus Rückschlüsse auf die eigenen Handlungen und Werte ziehen.

Mead unterscheidet zwei Dimensionen des Selbst: das „Ich“ und das „Mich“. Das „Ich“ steht für spontane und kreative Impulse, während das „Mich“ die internalisierten gesellschaftlichen Erwartungen repräsentiert. Identität entsteht in einem ständigen Dialog zwischen diesen beiden Aspekten, der sowohl individuelle Freiheit als auch soziale Anpassung berücksichtigt.

Für Führungskräfte bedeutet dies, dass sie ihre Entscheidungen und Handlungen kontinuierlich in Bezug auf die Erwartungen ihrer Mitarbeitenden reflektieren und gleichzeitig ihre persönliche Authentizität bewahren müssen. Diese Fähigkeit, verschiedene Perspektiven einzunehmen und zu integrieren, ist eine Schlüsselkompetenz in der modernen Führung.

Ralf Dahrendorf: Rollen und Rollenkonflikte

Ralf Dahrendorfs Rollentheorie erweitert das Verständnis von Identität, indem sie den Fokus auf die Vielzahl von Rollen legt, die Menschen in sozialen Kontexten einnehmen. Jede Rolle ist mit spezifischen Erwartungen und Normen verbunden, die von der Gesellschaft vorgegeben werden. Die Herausforderung besteht darin, dass diese Rollen oft miteinander in Konflikt stehen.

Dahrendorf betont, dass Rollenkonflikte unvermeidlich sind, insbesondere in komplexen sozialen Systemen wie Organisationen. Für Führungskräfte, die oft mehrere Rollen gleichzeitig ausfüllen, wie die des Entscheiders, Coaches und Teammitglieds, können solche Konflikte zu erheblichen Spannungen führen. Besonders problematisch wird es, wenn die Rolle des Coaches, die Gleichwertigkeit und Vertrauen voraussetzt, mit der hierarchischen Position der Führungskraft kollidiert.

Um diese Konflikte zu bewältigen, ist es entscheidend, dass Führungskräfte ein klares Rollenbewusstsein entwickeln und offen über die unterschiedlichen Erwartungen kommunizieren. Reflexion und Selbstmanagement spielen dabei eine zentrale Rolle.

Erik H. Erikson: Stufen der Identitätsentwicklung

Erik H. Eriksons psychosoziales Entwicklungsmodell (siehe auch: Blogbeitrag zu Erikson) liefert wichtige Einsichten für das Verständnis von Identität. Nach Erikson entwickelt sich Identität in verschiedenen Lebensphasen, wobei jede Phase durch eine spezifische Krise geprägt ist, die es zu bewältigen gilt. Im Erwachsenenalter steht die Phase der Generativität im Vordergrund, in der es darum geht, einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten und Verantwortung zu übernehmen.

Für Führungskräfte ist diese Phase besonders relevant, da sie ihre Identität häufig über ihre berufliche Rolle definieren. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Wertebasis und die Entwicklung einer langfristigen Vision sind zentrale Aufgaben, die auch die Qualität ihrer Führungsarbeit beeinflussen.

Identitätsentwicklung in der Führung

Identität ist kein statisches Konstrukt, sondern ein dynamischer Prozess, der durch kontinuierliches Lernen und Anpassung geformt wird. In der Führung ist dieser Prozess besonders ausgeprägt, da Führungskräfte ständig mit neuen Anforderungen und Erwartungen konfrontiert werden. Das Konzept der „fluiden Identität“ beschreibt die Fähigkeit, unterschiedliche Rollen flexibel zu integrieren und gleichzeitig authentisch zu bleiben.

Führungskräfte müssen lernen, mit Ambivalenzen und Unsicherheiten umzugehen, da diese oft ein unvermeidlicher Teil von Veränderungsprozessen sind. Eine reflektierte Identität hilft dabei, Entscheidungen klarer zu treffen und Vertrauen aufzubauen.

Praxisrelevanz für Führungskräfte

Die theoretischen Ansätze zur Identität liefern wertvolle Erkenntnisse für die Praxis. Führungskräfte können davon profitieren, ihre Identität aktiv zu reflektieren und weiterzuentwickeln. Dies hilft insbesondere in folgenden Bereichen:

  1. Rollenklarheit schaffen: Ein bewusstes Verständnis der eigenen Rollen und Erwartungen reduziert Unsicherheiten und erleichtert die Priorisierung von Aufgaben.
  2. Konflikte bewältigen: Rollenkonflikte lassen sich durch eine bewusste Reflexion und eine offene Kommunikation konstruktiv lösen.
  3. Authentizität wahren: Eine klare Identität stärkt die Glaubwürdigkeit und fördert authentische Führungsbeziehungen.
  4. Anpassungsfähigkeit fördern: Eine flexible Identität ermöglicht es, sich in dynamischen Umfeldern schneller anzupassen und innovative Lösungen zu entwickeln.

Fazit

Identitätstheorien bieten eine tiefgehende Grundlage, um die Herausforderungen und Chancen von Führung und Coaching besser zu verstehen. Sie zeigen auf, dass Identität nicht nur ein individuelles Phänomen ist, sondern in einem ständigen Dialog mit der sozialen Umwelt entsteht. Führungskräfte, die sich dieser Dynamik bewusst sind, können ihre Rolle effektiver ausüben und einen wertvollen Beitrag zur Entwicklung ihrer Teams leisten. Die bewusste Reflexion der eigenen Identität ist dabei ein entscheidender Schritt, um sowohl persönliche als auch organisatorische Ziele erfolgreich zu erreichen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert