Das Seerosenmodell von Edgar Schein: Ein Leitbild für modernes Leadership
Das Seerosenmodell von Edgar Schein bietet Führungskräften einen tiefgehenden Einblick in die Dynamiken von Motivation, Verhalten und Unternehmenskultur. Es verdeutlicht, wie tief verwurzelte Werte und unbewusste Glaubenssätze das beobachtbare Verhalten von Mitarbeitenden prägen. Gleichzeitig zeigt es auf, warum rein verhaltensorientierte Interventionen oft nur kurzfristige Effekte erzielen. Stattdessen appelliert modernes Leadership an die inneren Antreiber, um nachhaltige Veränderungen und Höchstleistungen zu fördern.
Die Elemente des Seerosenmodells
Die Wurzeln – Werte und unbewusste Glaubenssätze
Die unsichtbaren Wurzeln einer Seerose repräsentieren die Werte, Überzeugungen und Glaubenssätze, die tief im Unterbewusstsein verankert sind. Sie sind das Fundament des Verhaltens und der Entscheidungsprozesse eines Menschen. Werte und Glaubenssätze entwickeln sich über Jahre und werden von sozialen, kulturellen und individuellen Erfahrungen geprägt. Für Führungskräfte sind diese Wurzeln nur schwer zugänglich, da sie oft nicht direkt artikuliert oder bewusst wahrgenommen werden.
Die Blätter – Intrinsische Motivation
Die Blätter der Seerose, die durch Photosynthese Zucker und Energie produzieren, symbolisieren die intrinsische Motivation. Dieser innere Antrieb ist die Energiequelle, die Mitarbeitende dazu bewegt, eigeninitiativ und engagiert zu handeln. Intrinsische Motivation entsteht, wenn persönliche Werte, Sinnhaftigkeit und Selbstverwirklichung in Einklang mit der Arbeitsumgebung stehen. Gute Führung sorgt dafür, dass „das Licht“ – also ein förderliches Umfeld – diese Energiequellen unterstützt und stärkt.
Die Blüte – Beobachtbares Verhalten
Die sichtbare Blüte repräsentiert das beobachtbare Verhalten eines Menschen. Dieses Verhalten ist das Ergebnis der Einflüsse von Wurzeln (Werten) und Blättern (Motivation). Führungskräfte sehen oft nur die Blüte und neigen dazu, darauf zu reagieren, ohne die tieferliegenden Ursachen zu berücksichtigen. Das führt häufig zu kurzfristigen oder sogar kontraproduktiven Maßnahmen.
Die Implikationen für Führungskräfte
Das Seerosenmodell liefert entscheidende Erkenntnisse für den Führungsalltag:
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Verhalten ist symptomatisch, nicht kausal:
Das beobachtbare Verhalten von Menschen ist Ausdruck tiefer liegender Werte und Motivationen. Ein Fokus auf Verhaltensänderungen ohne Berücksichtigung der zugrunde liegenden Faktoren wird kaum nachhaltigen(!) Erfolg bringen. Mitarbeitende kann man natürlich auch auf der Verhaltensebene direktiv führen. „Mach so, so geht das. Unterlasse das,…“ Jedoch: wer will so geführt werden? Wer will so instruierend und kleinteilig führen? Ein Effekt dieser verhaltensbasierten Führung ist auch die fehlende Nachhaltigkeit. Dies kommt auch im Spruch „Ist die Katze aus dem Haus, feiern die Mäuse Kirchtag.“ zum Ausdruck. -
Wurzeln sind nicht direkt beeinflussbar:
Werte und Glaubenssätze lassen sich nur bedingt und langfristig verändern. Sie sind tief im individuellen und kollektiven Bewusstsein verankert. Diese Überzeugung, wie das Leben und die Welt funktionieren und wie ‚man‘ sich richtig verhält werden besonders in der ersten wenigen Lebensjahren eines Menschen biografisch geprägt. Statt diese verändern zu wollen, sollten Führungskräfte darauf abzielen, diese zu verstehen und in ihre Führungsstrategien einzubeziehen. -
Der Schlüssel liegt in der Motivation:
Die Blätter der Seerose – die intrinsische Motivation – bieten den größten Hebel für Führung. Ein modernes Leadership stärkt diese durch:- Sinnstiftung: Klare Kommunikation über den Zweck und die Bedeutung der Arbeit.
- Autonomie: Die Schaffung von Handlungsspielräumen, die Mitarbeitenden ermöglichen, eigenverantwortlich zu agieren.
- Entwicklung: Unterstützung bei persönlichem und beruflichem Wachstum.
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Ein Umfeld schaffen, das „Licht gibt“:
Führungskräfte sollten Bedingungen schaffen, die Motivation fördern, anstatt sie zu blockieren. Dazu gehören Transparenz, Wertschätzung, klare Zielsetzungen und ein respektvolles Miteinander.
Praktische Ansätze für modernes Leadership
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Wertschätzendes Feedback:
Statt ausschließlich Verhalten zu kritisieren, sollte Feedback auf die dahinterliegenden Anstrengungen und Intentionen eingehen. Dies zeigt Mitarbeitenden, dass ihre intrinsische Motivation geschätzt wird. -
Kultur der Offenheit:
Eine Unternehmenskultur, die Dialog und Reflexion fördert, ermöglicht es Führungskräften, Einblicke in die „Wurzeln“ der Organisation zu gewinnen. Workshops oder Coachings können helfen, Werte und Glaubenssätze sichtbarer zu machen. -
Sinnzentrierte Zielsetzung:
Verknüpfen Sie individuelle Ziele mit der übergeordneten Mission der Organisation. Mitarbeitende fühlen sich stärker motiviert, wenn sie erkennen, wie ihre Arbeit zur Verwirklichung größerer Ziele beiträgt. -
Motivationsorientierte Führung:
Führungskräfte sollten Mitarbeitende als Individuen sehen und deren intrinsische Antreiber berücksichtigen. Dies kann durch regelmäßige Gespräche oder gezielte Entwicklungsmaßnahmen geschehen.
Fazit
Das Seerosenmodell von Edgar Schein erinnert Führungskräfte daran, dass nachhaltige Veränderungen auf tieferen Ebenen ansetzen müssen. Während die sichtbare „Blüte“ oft im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, liegt die wahre Kraft in den Wurzeln und Blättern. Modernes Leadership bedeutet, nicht nur auf beobachtbares Verhalten zu reagieren, sondern ein Umfeld zu schaffen, das intrinsische Motivation fördert und unterstützt. Führungskräfte, die dies beherzigen, können nicht nur die Leistung ihrer Mitarbeitenden steigern, sondern auch eine resilientere und engagiertere Organisation aufbauen.
Der Schlüssel liegt darin, das Licht auf die richtigen Stellen zu lenken – nicht die Blüte zu formen, sondern die Blätter wachsen zu lassen und die Wurzeln zu respektieren.