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Mutlose Wissenschaften

Wissenschaft ist großartig. Aber leider ist sie nicht mutig. Bestehende Weltbilder zu hinterfragen ist nicht sehr erwünscht. Wer den wissenschaftlichen Mainstream hinterfragt, hat mit Gegenwind zu rechnen. Das Galilei-Drama.

Galileio Galilei führte in den ersten drei Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts die Forschungen fort, die Kopernikus begonnen hatte: eine radikale Veränderung des Verständnisses der Weltenmechanik. „Eppur si muove!“ – und sie bewegt sich doch. Dafür wurde er zuerst zum Tode verurteilt, kam dann aber mit lebenslanger Haft davon. Sein Verbrechen: er hatte zu seiner Zeit Undenkbares gedacht und bewiesen: das Universum dreht sich nicht um die Erde, vielmehr dreht sich die Erde um die Sonne. Was heute common sense ist, hatte nicht zum Selbstverständnis der damaligen Zeit gepasst. Immerhin, rund 400 Jahre später, 1992, wurde Galilei von der römisch katholischen Kirche rehabilitiert.

Die Wissenschaft ist exzellent darin, komplizierte Dinge solange zu zerlegen, bis alles ins Kleinste beschrieben ist. Und hier beginnt es schwierig zu werden. Kompliziert ist nicht gleich komplex. Zerlegt man komplizierte Maschinen, wird ihre Mechanik und Logik sichtbar. Wenn man komplexe (wechselwirkende) lebende Dynamiken zerlegt, sind sie nicht mehr funktional, nicht mehr sichtbar und schon gar nicht erklärbar. Wenn man beispielsweise eine Paarbeziehung oder eine Organisation in seine Einzelteile zerlegt, sind bestenfalls die Individuen beschrieben, aber die Beziehungsdynamik ist nicht mehr sichtbar.

Unser lineares, rationalistisches und mechanisch-funktionales Verständnis der Welt, so wie es immer noch breitflächig vorherrscht, kann viele moderne (und auch ewig alte) Fragestellungen nicht erklären. Unserem Weltbild fehlen Wahrnehmungs- und Denkdimensionen.

Diskutieren wir das mit dem Thema Zufall. Gibt es Zufall?

Meine Hypothese: es gibt keinen Zufall, nicht mal ein bisschen. Uns erscheinen Ereignisse nur als zufällig, weil wir mit unseren begrenzten Wahrnehmungsmöglichkeiten komplexere Dynamik nicht erfassen können.

Ein Gedankenexperiment am Tennisplatz:

Stellen wir uns vor, wir sitzen bei einem Tennisspiel auf der Zuschauertribüne und haben einen guten dreidimensionalen Überblick. So ist es für uns einfach, die Flugbahn und den Bodenberührungspunkt des Tennisballs im Spiel zu prognostizieren. Der Ball berührt den Boden nicht an einem zufälligen Punkt.

Nun verändern wir unsere Position und unsere Wahrnehmungsdimensionen. Stellen wir uns vor, im gleichen Tennisspiel läuft eine Ameise über den Tennisplatz und ganz knapp neben ihr schlägt der Tennisball wie eine Bombe ein. Die Ameise würde sagen: So ein Zufall, Glück gehabt. Was für die wesentlich zweidimensionalere Ameise nach Zufall aussieht, war für uns völlig klar vorhersehbar. Der Ameise fehlte einfach nur eine (ausreichende ausgeprägte) Wahrnehmungsdimension. Sie kann sich die Herleitung nicht erklären und nennt es kurzerhand Zufall. Nach dem dritten Glück im Unglück, zufällig knapp nicht getroffen worden zu sein, wird sie das Phänomen immer noch nicht verstanden, aber zur Kenntnis genommen haben und versuchen, sich vom Platz zu machen. Vielleicht sendet sie auch ein Stoßgebet zu ihrem Ameisengott, mit dem Flehen, sie zu verschonen. Die Bedauernswerte kann mit ihrer geringen dreidimensionalen Wahrnehmung nicht einmal sagen, wo der Tennisplatz aufhört und sicheres Terrain beginnt. Es fehlt der Überblick. Sie läuft scheinbar chaotisch herum, um auf ihrem Fluchtweg nicht berechenbar zu sein, den Tennisball zu irritieren und wohl auch weil sie den kürzesten Weg, der für uns so offensichtlich ist, nicht erkennen kann.

So geht es uns auch. Täglich. Wann immer wir “Zufall“ zu einem Ereignis sagen, waren wir nicht in der Lage, das große Ganze zu sehen. Teilweise weil wir nicht alle Informationen aus den uns grundsätzlich zugänglichen Dimensionen hatten, teilweise weil es Dimensionen gibt, für die wir keine Wahrnehmungsrezeptoren und in weiterer Folge keine Verarbeitungslogiken haben.

Das klingt esoterisch? Ist es aber nicht. Mathematiker rechnen mit wesentlich mehr als drei Dimensionen um die Welt und deren Phänomene wenigstens im Ansatz auf kognitiver Ebene zu erklären. Atomphysiker beobachten, spätestens seit Einstein, Phänomene der unerklärlichen Quantenverschränkung und nennen sie „spukhafte Fernwirkung“. Die ehrbaren Physiker Heisenberg und Schrödinger haben gezeigt, dass reine Beobachtung, genau genommen das bloße „Daran-Denken“, das Verhalten von subatomaren Teilchen verändert. Es gibt Tiere, die Himmelsrichtungen nicht am Kompass ablesen müssen, sondern einfach und ganz selbstverständlich wahrnehmen. Einen Erdmagnetismussinn – haben wir nicht, gibt es aber. Es gibt Tiere, die Erdbeben vorhersagen können. Einen geologischen Erderschütterungsvohersagesinn – haben wir nicht, gibt es aber.

Sind solche Phänomene im Rahmen des allgemein akzeptierten Weltbildes erklärbar? Nein. Zufall? Nein. Uns fehlen einfach nur Dimensionen der Sinneswahrnehmung. Außerdem können wir nicht gut non-lineare Zusammenhänge erkennen und denken, wir haben ein sehr begrenztes Verständnis für mehrschichtige Wechselwirkungen. Welche anderen Dynamiken in welchen Dimensionen gibt es noch, die wir als Zufall, Blödsinn, etc. abtun, die aber trotzdem existieren und wirken? Es ist einfacher, „Zufall“ zu sagen.

Die konventionellen Wissenschaften, so dienlich sie sind, frei nach dem Pareto-Prinzip, sind in vielen Bereichen recht unwirksam. Wenn wir in unserer Entwicklungsgeschichte nennenswert und gut weiter kommen wollen, brauchen wir mehr Offenheit gegenüber unkonventionellen Ansätzen.

Selbstverständlich gibt es in dem Grenzgebiet unter den (Pseudo-) Wissenschaftern auch viele Verirrte und Spinner. Auch deren Hypothesen gilt es zu prüfen, gegebenenfalls zu falsifizieren und auszusortieren. Dieses Verwerfen geschieht derzeit, aus einem viel zu linearen, technokratischen, niederkomplexen und selbstgefälligen Weltbild. Praktisch jede unkonventionelle Idee wird vom etablierten Wissenschaftsbetrieb a priori als esoterischer Unfug abgetan. Es kann nicht sein, was nicht sein darf, ganz so wie einst die Päpste bei Galilei und anderen genialen Forschern. Neuland ist nun mal Risikogebiet, zumindest in den Köpfen der Etablierten.

Ich wünsche mir Wissenschaften und Menschen in der Wissenschaft, die Phänomene ernst nehmen und auch die schrägsten Hypothesen und Modelle und deren Vertreter nicht vorab lächerlich machen. Ich wünsche mir eine Wissenschaft, die mit gutem, kritischen Mindset in aller vorurteilsfreien Offenheit prüft, evidenzbasiert verwirft oder bestätigt – auch wenn der Preis ein anderes, neues, aber richtigeres Verständnis der “Weltendynamik“ ist. Das wäre echt mutig und würde den Wissenschaften gut stehen.

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