Steve de Shazer‘s drei Kliententypen in Beratung und Therapie
Wer Menschen berät, egal in welcher Sache, hat schon erfahren, dass sie mit sehr unterschiedlichen Erwartungen und Hoffnungen und gar nicht so selten auch mit Befürchtungen in die Beratungssituation gehen.
Manche kommen mit Leidensdruck und der Hoffnung Lösungen zu finden. Andere gehen in Beratung, um mal so richtig ‚abzukotzen‘ – die Psychologie sagt dazu: Entlastungsgespräch. Das kann auch mal sehr gesund sein. Und wieder andere kommen, weil die Firma oder zu Hause der Partner, die Partnerin ihnen Beratung mit einer „gewissen Dringlichkeit empfohlen“ hat.
Steve de Shazer (1940–2005), ein bedeutender Vertreter der lösungsfokussierten Kurztherapie (Solution-Focused Brief Therapy, SFBT), entwickelte ein Modell der Kliententypen. Dieses Modell kennt drei verschiedene Klienten.
De Shazer’s Typologie zeigt den Umgang mit Zielen und Lösungen. Diese Typologie hilft Therapeuten und Beratern, die Bedürfnisse und die Bereitschaft der Klienten zur Veränderung zu verstehen, um ihre Interventionen entsprechend anzupassen.
Die drei Kliententypen nach Steve de Shazer
Steve de Shazer unterschied drei Kliententypen: Kunden, Klagende und Besucher. Diese Typen basieren auf der Bereitschaft der Klienten, Verantwortung für Veränderung zu übernehmen, und ihrer Wahrnehmung des Problems sowie möglicher Lösungen.
- Kunden (Customers for Change)
Kunden sind jene Klienten, die aktiv an der Veränderung arbeiten wollen. Sie haben ein klares Verständnis für ihr Problem und erkennen ihre eigene Verantwortung, Lösungen zu entwickeln und umzusetzen. Kunden sind motiviert, konkrete Schritte zur Verbesserung ihrer Situation zu unternehmen.
Merkmale:
- Sie erkennen, dass ein Problem existiert.
- Sie sehen sich selbst als Teil der Lösung.
- Sie sind bereit, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um Veränderungen herbeizuführen.
Therapeutische Strategie:
- Der Therapeut arbeitet eng mit dem Klienten zusammen, um spezifische, erreichbare Ziele zu definieren.
- Interventionen konzentrieren sich darauf, Ressourcen zu mobilisieren und bereits bestehende Erfolge zu verstärken.
- Typische Fragen sind: „Was haben Sie bereits versucht, das funktioniert hat?“ oder „Was wäre der erste kleine Schritt in Richtung Ihres Ziels?“
- Klagende (Complainants)
Klagende erkennen zwar, dass ein Problem existiert, sehen die Verantwortung für die Lösung jedoch außerhalb ihrer eigenen Kontrolle. Sie neigen dazu, anderen Menschen oder äußeren Umständen die Schuld zu geben, und erwarten oft, dass sich diese ändern, damit sie selbst eine Verbesserung erleben.
Merkmale:
- Sie erkennen das Problem, übernehmen jedoch keine Verantwortung für die Lösung.
- Sie haben eine passive Haltung gegenüber Veränderungen.
- Sie sind häufig frustriert und suchen nach einer Bestätigung ihrer Sichtweise.
Therapeutische Strategie:
- Der Therapeut hilft dem Klienten, das Problem in einen lösungsorientierten Rahmen zu stellen, ohne dessen Perspektive zu ignorieren oder zu bewerten.
- Ziel ist es, die Aufmerksamkeit schrittweise auf die Aspekte zu lenken, die der Klient beeinflussen kann.
- Typische Fragen sind: „Was würden Sie bemerken, wenn sich das Problem von selbst löst?“ oder „Welche kleinen Veränderungen könnten Sie an sich selbst wahrnehmen, wenn die Situation besser wird?“
- Besucher (Visitors)
Besucher sind Klienten, die von anderen (z. B. Partnern, Arbeitgebern oder Behörden) geschickt wurden und selbst keine Notwendigkeit zur Veränderung sehen. Sie empfinden sich nicht als Teil des Problems und zeigen wenig bis keine Motivation, aktiv an einer Lösung zu arbeiten.
Merkmale:
- Sie sehen keinen Grund zur Veränderung.
- Sie nehmen das Problem oft nicht als relevant für sich selbst wahr.
- Ihr Engagement in der Therapie ist gering.
Therapeutische Strategie:
- Der Therapeut erkennt die Position des Besuchers an und versucht, eine gemeinsame Grundlage zu schaffen, ohne Druck auszuüben.
- Ziel ist es, das Gespräch auf positive Aspekte oder Ressourcen zu lenken, die der Klient als nützlich empfindet.
- Typische Fragen sind: „Was denken Sie, warum Sie hier sind?“ oder „Was würde Sie überzeugen, dass dieser Prozess für Sie hilfreich sein könnte?“
Praktische Anwendung der Kliententypologie
Die Unterscheidung zwischen Kunden, Klagenden und Besuchern hilft Therapeuten, ihre Interventionen individuell anzupassen. Ein zentraler Gedanke der lösungsfokussierten Therapie ist es, Klienten dort abzuholen, wo sie stehen, und ihnen keine vorgefertigten Lösungen aufzuzwingen. Die Rolle des Therapeuten ist es, das Potenzial der Klienten zu erkennen und ihre Entwicklung in Richtung einer aktiven Problemlösung zu fördern.
- Für Kunden: Der Fokus liegt auf der Erarbeitung konkreter Strategien, um ihre Ziele zu erreichen.
- Für Klagende: Der Therapeut unterstützt dabei, die Wahrnehmung zu erweitern und neue Möglichkeiten zu erkennen.
- Für Besucher: Es geht darum, ein Gefühl von Relevanz und Nutzen für die Therapie zu schaffen, oft durch kleine, unaufdringliche Interventionen.
Kritik und Weiterentwicklung
Die Typologie von de Shazer wurde in der Fachwelt sowohl gelobt als auch kritisiert. Einige sehen in der Kategorisierung eine hilfreiche Struktur, um den therapeutischen Prozess zu leiten, während andere sie als zu starr betrachten. Es gibt auch Debatten darüber, ob die Übergänge zwischen den Typen fließend sind und wie Therapeuten diese Dynamik berücksichtigen können. Dennoch bleibt die Typologie ein zentraler Bestandteil der lösungsfokussierten Kurztherapie und hat Einfluss auf viele andere Beratungs- und Coachingansätze genommen.
Fazit
Steve de Shazer hat mit seiner Arbeit zur lösungsfokussierten Kurztherapie einen paradigmatischen Wandel in der Psychotherapie und Beratung bewirkt. Seine Typologie der Kliententypen – Kunden, Klagende und Besucher – bietet eine wertvolle Grundlage, um therapeutische Interventionen gezielt und individuell zu gestalten. Indem er den Fokus von Problemen auf Lösungen verlagerte, schuf de Shazer einen Ansatz, der sich durch Pragmatismus, Effizienz und die Betonung von Ressourcen auszeichnet. Sein Vermächtnis prägt bis heute nicht nur die Psychotherapie, sondern auch Coaching, Supervision und Organisationsentwicklung.