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Leadership gibt’s auch bei Tieren und sogar Pflanzen.

Gemeinschaften und ihre Organisationsformen:
Wie entsteht Führung?
Welche Rolle spielt Dominanz?


Gemeinschaften sind ein grundlegendes Prinzip des Lebens – egal ob bei Menschen, Tieren oder sogar bei Pflanzen. In jeder dieser Gemeinschaften finden sich Strukturen, die man als „Organisation“ oder „soziales Gefüge“ bezeichnen kann. In menschlichen Gemeinschaften nennen wir das oft „Führung“ oder „Leadership“, im Tierreich sprechen wir zum Beispiel von Rangordnungen, und selbst Pflanzen weisen Mechanismen auf, die man hierarchischen oder zumindest koordinierenden Strukturen zuordnen kann. Aber wie genau kommt es zu Führung, nach welchen Kriterien wählen Lebewesen ihre Anführer*innen oder Leitindividuen, und welche Rolle spielt Dominanz? Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die Entstehung von Organisation in verschiedenen Arten von Gemeinschaften und beleuchtet die wichtigsten Kriterien für Leadership.


1. Organisation im Tierreich

1.1 Gorillas: Der Silberrücken als Beschützer und Organisator

Bei Gorillas ist die soziale Gruppe in der Regel klar strukturiert: Ein erwachsenes Männchen, das sich durch Silberfärbung des Rückens (Silverback) auszeichnet, übernimmt in vielen Fällen die Führungsrolle. Dabei spielen körperliche Dominanz und Schutzfunktion eine große Rolle. Der Silberrücken verteidigt seine Gruppe gegen Bedrohungen (z. B. fremde Männchen oder Raubtiere) und entscheidet häufig, wann die Gruppe weiterzieht oder wo sie Nahrung sucht.

  • Kriterium Dominanz: Körperliche Stärke und einschüchterndes Auftreten sind Schlüssel.
  • Weitere Kriterien: Soziale Kompetenz und Konfliktlösung. Der Silberrücken kümmert sich auch um soziale Spannungen in der Gruppe und sorgt dafür, dass Aggressionen sich nicht ausweiten.

1.2 Wölfe: Die Leitwölfe als Koordinatoren und Jäger

In Wolfspopulationen existiert ein ausgeprägtes Rudelverhalten. Typischerweise führt ein „Alpha-Paar“ das Rudel an. In früherer Forschung sprach man vor allem von „Dominanz“ – das stärkste Männchen (und Weibchen) setze sich durch. Neuere Erkenntnisse zeigen allerdings, dass Wolfsrudel oft aus verwandten Tieren bestehen und dass das Leittier meist eines der Elterntiere ist.

  • Kriterium Dominanz: Auch hier wichtig, aber nicht allein ausschlaggebend.
  • Weitere Kriterien: Erfahrung in der Jagd und im Territoriumsmanagement spielen eine entscheidende Rolle, ebenso wie soziale Bindungen zu den Jungtieren. Oft übernimmt das erfahrenste Tier, das die besten Kenntnisse über die Region und Beutequellen hat, die Führungsrolle.

1.3 Rinderherde: Die Leitkuh als Wegweiserin

In einer Rinderherde ist es häufig die erfahrenste Kuh, die den Ton angibt. Anders als beim Bild eines „dominanten Bullen“ sieht man in Rinderherden oft, dass eine Leitkuh die Gruppe führt – zum Beispiel beim Aufbruch zu neuen Weideplätzen oder Tränken.

  • Kriterium Erfahrung: Leitkühe sind oft älter und kennen Futter- und Wasserstellen am besten.
  • Rolle der Dominanz: Natürlich können kräftige Tiere in der Herde eine gewisse Rangordnung etablieren, doch beim Führen von Wanderbewegungen geht es eher um Wissen und Gelassenheit, weniger um aggressives Durchsetzen.

2. Organisation im Pflanzenreich

Obwohl das Bewusstsein für „Führung“ bei Pflanzen zunächst ungewohnt klingt, zeigt die Forschung (z. B. Arbeiten von Peter Wohlleben oder Suzanne Simard), dass Bäume in Waldgemeinschaften komplex miteinander vernetzt sind. Über ein weitverzweigtes Pilz-Myzel (das sogenannte Wood Wide Web) kommunizieren sie miteinander, tauschen Nährstoffe aus und unterstützen sogar schwächere Bäume.

  • Hierarchische Strukturen: Besonders große und alte Bäume gelten mitunter als „Mutterbäume“ oder „Hub-Bäume“, weil sie weitläufigere Wurzelsysteme und Pilzverbindungen haben.
  • Kriterium Ressourcensteuerung: Diese „Mutterbäume“ versorgen junge oder kranke Bäume mit zusätzlichen Nährstoffen und signalisieren bei Schädlingsbefall, was man als eine Form von „Führung“ interpretieren kann.
  • Dominanz? Bei Pflanzen ist „Dominanz“ nicht im Sinne einer aggressiven Durchsetzungskraft zu verstehen. Stattdessen könnte man von einer zentralen Vermittlungsrolle sprechen, die den Fortbestand des „Kollektivs Wald“ sichert.

3. Wodurch entsteht Führung? – Kriterien im Vergleich

  1. Dominanz

    • Bei Gorillas und Wölfen spielt physische Dominanz eine Rolle, weil sie unmittelbar mit Verteidigung und Nahrungssuche zusammenhängt.
    • In Kuhherden kann dominante Aggression eine Rolle in der Rangordnung spielen, ist aber für die eigentliche Führungsposition weniger entscheidend.
    • Bei Bäumen ist Dominanz auf die Fähigkeit zur Ressourcenteilung und Kommunikation reduziert (nicht auf körperliche Stärke im klassischen Sinne).
  2. Erfahrung und Wissen

    • In nahezu allen Tiergemeinschaften, die über längere Zeiträume beobachtet werden, haben erfahrenere Individuen oft Vorrang beim Anführen von Wanderungen oder bei der Entscheidungsfindung.
    • Bei Rinderherden und Wolfspopulationen lässt sich gut beobachten, dass erfahrene Tiere oder Elterntiere, die sich im Gebiet auskennen, den Ton angeben.
    • In Waldgemeinschaften besitzen „Mutterbäume“ oder ältere Bäume umfangreichere Wurzel- und Pilznetzwerke, was sie zu zentralen Kommunikationsknoten macht.
  3. Soziale Intelligenz und Konfliktlösung

    • Beim Silberrücken-Gorilla ist nicht nur rohe Gewalt ausschlaggebend, sondern auch die Fähigkeit, Konflikte zu managen und die Gruppe zusammenzuhalten.
    • Bei Wölfen sorgen die Alphatiere für Harmonie im Rudel, indem sie Streitereien unterbinden und klare Signale aussenden.
    • In pflanzlichen Gemeinschaften kann man diesen Faktor nur indirekt beobachten: Waldgemeinschaften profitieren von einem ausgeklügelten Netzwerk, das ihre „Konflikte“ (z. B. Nährstoffmangel) durch Umverteilung mildert.
  4. Fürsorge- und Schutzfunktion

    • Gorillasilverbacks verteidigen die Gruppe und sorgen für die Jungtiere.
    • Wolfseltern (Alpha-Paar) sichern Jagderfolg und Aufzucht der Welpen.
    • Leitkühe schützen mitunter schwächere Herdenmitglieder, indem sie frühzeitig auf Gefahr reagieren und die Herde führen.
    • Ältere Bäume stützen jüngere Bäume, indem sie ihnen Nährstoffe und Informationen (über chemische Signale) zukommen lassen.

4. Ist Dominanz das einzige Kriterium?

Kurz gesagt: Nein. Dominanz – verstanden als Fähigkeit, sich physisch oder sozial durchzusetzen – spielt vor allem dort eine herausragende Rolle, wo Auseinandersetzungen um Ressourcen (Nahrung, Revier, Paarungspartner) häufig sind. Allerdings ist Dominanz im Sinne von Aggression oder reiner körperlicher Überlegenheit nicht immer das alleinige oder gar wichtigste Kriterium.

  • Langfristige Gruppenstabilität erfordert neben Stärke oft Erfahrung, Sozialkompetenz und Kooperationsfähigkeit.
  • Kooperation und Wissensaustausch sind in vielen Arten überlebenswichtig. Ein starkes, aber ungeschicktes oder unkooperatives Individuum hat es schwerer, sich als Leitfigur zu etablieren.
  • Verwandtschaftsbeziehungen (z. B. in Wolfspopulationen) können die Führung positionell „vordefinieren“. Das Alpha-Paar ist dann oft die „Elterngeneration“, wodurch eine natürliche Autorität entsteht, die weniger auf aggression-based Dominanz als vielmehr auf Erfahrung und genetischer Verbundenheit beruht.

5. Fazit

In nahezu jeder Gemeinschaft – sei es ein Rudel Wölfe, eine Gruppe Gorillas, eine Herde Rinder oder sogar eine Waldgemeinschaft von Bäumen – bilden sich Strukturen heraus, die wir als „Führung“ oder „Leitfunktion“ bezeichnen können. Die genauen Mechanismen variieren zwar stark zwischen den Spezies, doch im Kern lassen sich immer wieder ähnliche Kriterien erkennen: Dominanz, Erfahrung, Ressourcenkenntnis und Soziale Kompetenzen.

Dominanz hat dabei besonders im Tierreich eine offensichtliche Rolle, ist jedoch nicht das exklusive oder immer wichtigste Kriterium für Führung. Gerade bei sozialen oder hochentwickelten Gruppen spielt Wissen und Kooperation eine mindestens ebenso wichtige Rolle. Bei Pflanzen kommt das Prinzip der „Fürsorge“ und „Vernetzung“ zum Tragen, das sich weniger auf aggressive Auseinandersetzungen, sondern vielmehr auf Ressourcenverteilung und Kommunikation stützt.

Diese Beispiele verdeutlichen, dass Organisation in Gemeinschaften nicht nur auf Menschen beschränkt ist. Das Zusammenspiel von Stärke, Expertise und sozialer Interaktion ist in nahezu allen biologischen Systemen zu finden. Es zeigt sich: Führung entsteht oft dort, wo ein Individuum oder ein Knoten im Netzwerk gleichzeitig Schutz, Stabilität, Ressourcensicherheit und soziale Orientierung bieten kann. Dies gilt vom Gorilla-Silberrücken bis hin zum „Mutterbaum“ im Wald.

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